Warum ich schreibe
Fast jeder, dem ich von meinem Buchprojekt erzähle, sagt etwas wie: „Oh, spannend.“ Oder: „Wie cool.“ Was man eben so sagt, wenn man etwas ungewöhnliches hört, das dem Gegenüber, der es gerade erzählt hat, erkennbar wichtig ist und man nicht unhöflich sein will.
Aber noch niemand hat mich gefragt: „Warum tust Du das?“ – Schade eigentlich.
Natürlich wäre die Frage ungewöhnlich. Wenn mir jemand erzählt, er schraube gerade einen in seine Einzelteile zerlegten alten englischen Sportwagen zusammen, frage ich doch auch nicht: Warum tust Du das?
Aber beim Schreiben lohnt sich die Frage doch: Warum schreiben wir eigentlich?
Meine Tochter hat mich nicht gefragt: „Schreibst Du mir noch ein Buch?“ Nein, sie hat gefragt: „Erzählst Du mir noch eine Geschichte?“
Nun ist schon klar, dass Geschichten und Bücher irgendetwas miteinander zu tun haben. Aber warum genau schreibe ich die Geschichten auf?
Nun, vordergründige könnte ich sagen: Ich schreibe, damit etwas bleibt. Damit ich ein fertiges Buch in den Händen habe, eine haptische Erfahrung. Damit alle es nachlesen können, insbesondere meine Tochter, wenn sie Lesen gelernt hat.
Aber das ist natürlich Blödsinn: Es gibt mehr als genug Bücher da draußen. Mehr als ich oder sonst irgendwer jemals lesen kann. Und täglich kommen neue hinzu. Lesen lernen und Kindheitserinnerungen kann ich auch mit anderen Vorlesebüchern produzieren.
Meine Mutter erinnert sich heute noch an ihre Fibel mit den Geschichten der Gebrüder Grimm. Aber nicht wegen der Geschichten. Nein, das Buch war so wunderschön gestaltet, dass sie es als kleines Mädchen nicht alleine in die Hände nehmen durfte. An solche Sachen erinnern wir uns: An kostbare Sachen, an spannende Zeiten, an den seltenen Moment, wenn sich ein Erwachsener zu uns setzt und uns vorliest. Was er vorliest – und seien es die Gebrüder Grimm – ist da nicht so wichtig. Es muss also nicht das eigene Buch sein.
Der wahre Grund liegt im Schreiben selbst. Der Akt des Schreibens formt die Geschichte. Er macht sie besser, runder, verständlicher, logischer. Er öffnet sie für Überarbeitungen. Im Schreiben durchlebe ich die Geschichte langsam, genau und intensiv. Eben so, wie sich der Cursor langsam mit jedem Tastenschlag in der Zeile vorwärts schiebt.
Die mündliche Geschichte kann da nicht mithalten. Sie sprudelt aus mir heraus wie Wasser aus dem Hahn. Der Redefluß ist eben breit wie ein Strom und unaufhaltsam wie Wasser, das durch eine geöffnete Schleuse fließt.
Der Schreibfluss hingegen ist wie ein Regentropfen. Er wird auf dem Weg zur Erde vom Wind aus der Bahn gelenkt. Er hält auf seiner Reise inne und fällt erst auf ein Blatt und dann auf einen Strauch, bevor er zu Boden sinkt. Und er setzt seine Reise im Inneren fort, wenn er im Boden versickert. Dort wird er angereichert bevor er sein Ziel das Grundwasser erreicht.
So ist der Schreibfluss. Es ist eine intensive äußere und innere Reise auf der ein Gedanke viele Umwege macht, abgelenkt und durchgewirbelt aber auch angereichert wird, bis er endlich auf dem Papier angekommen ist.
Es ist diese intensive Reise. Deshalb schreibe ich.
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